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Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.


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Freitag, 27.02.2004

27.02.04 Stellungnahme des ZMD zur geplanten Gsetzesänderung in Niedersachsen in Sachen Kopftuch



zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP (Drs. 15/720)
zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes
und zum Änderungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 15/0000)

(Vorgetragen von Dr. Nadeem Elyas, ZMD-Vorsitzender, bei der Anhörung des Kulturausschusses des Niedersächsischen Landtages)

I.

Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes (§51.3) privilegiert die christliche und die jüdische Religionsgemeinschaft.
Er benachteiligt alle anderen Religionsgemeinschaften, insbesondere die islamische Religionsgemeinschaft.
Er stellt daher nach unserer Auffassung einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des Staates dar.
Er verletzt das Grundrecht auf die Religionsausübung muslimischer Frauen.
Er verletzt ihr Recht auf gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Ämtern und bedeutet für sie faktisch ein Berufsverbot.
Er beengt Musliminnen in ihrem Recht auf persönliche Entfaltung und verhindert ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.
Er fällt ein Pauschalurteil gegen kopftuchtragende Musliminnen, unterstellt ihnen fehlende Verfassungstreue und stellt somit eine Diskriminierung per Gesetz dar.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hält diesen Gesetzentwurf für verfassungswidrig und lehnt ihn ab.

II.

Dieser Gesetzentwurf missachtet die elementaren Aspekte des Kopftuch-Urteils des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe:

1. Das Urteil stellte fest, dass alle bis dahin gefällten Urteile "die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 33 in Verbindung mit Artikel 4 des Grundgesetzes verletzen." Das BVerfG lässt keinen Zweifel daran, dass das Tragen des Kopftuches ein Ausdruck der religiösen Überzeugung ist:" Eine Verpflichtung von Frauen zum Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit lässt sich nach Gehalt und Erscheinung als islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen."

2. Die Kopfbedeckung gehört unumstritten zu den Bekleidungsvorschriften im Islam. Es gibt in der gesamten Geschichte des Islam seit 14 Jahrhunderten keine einzige anders lautende Lehrmeinung in sämtlichen Rechtsschulen, sowohl der Sunniten als auch der Schiiten. Diese belegen diese Vorschrift aus dem Koran, der Sunna und dem Konsens. Abgesehen von der unumstrittenen Stellung des Kopftuchs in der islamischen Lehre stellt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe fest, "dass es nicht darauf ankommt, ob und inwieweit die Verschleierung für Frauen von Regeln des islamischen Glaubens vorgeschrieben ist."

3. Auf das Recht auf religiöse Ausübung zu verzichten, kann und darf von einer Beamtin auch nicht unter dem Vorwand des Neutralitäts- und Zurückhaltungsgebots verlangt werden. Dazu stellt das BVerfG fest: "Eine dem Beamten auferlegte Pflicht, als Lehrer die eigene Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft in Schule und Unterricht nicht durch das Befolgen von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar werden zu lassen, greift in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte individuelle Glaubensfreiheit ein. Sie stellt den Betroffenen vor die Wahl, entweder das angestrebte öffentliche Amt auszuüben oder dem von ihm als verpflichtend angesehenen religiösen Bekleidungsgebot Folge zu leisten."

4. Das Kopftuch pauschal verbieten zu wollen, "weil .." (Zitat aus der Begründung zu Nummern 5 und 6 des Gesetzentwurfes) "weil zumindest ein Teil seiner Befürworter mit ihm sowohl eine mindere Stellung der Frau in Gesellschaft, Staat und Familie, als auch eine fundamentalistische, kämpferische Stellungnahme für ein theokratisches Staatswesen entgegen den Grundwerten des § 20 GG verbindet", widerspricht mehreren Prinzipien der Logik und des Rechts:
Zum einen, kann eine solche Assoziierung einem jeden anderen religiösen Zeichen und Symbol unterstellt werden.
Zum anderen handelt es sich bei dieser Argumentation um eine, wie das BVerfG feststellt, "abstrakte Gefahr, die nicht ausreicht, um Grundrechte der Betroffenen zu beschneiden."
Und zum dritten wird dadurch die weitaus große Mehrheit der Kopftuchträgerinnen per Gesetz diskriminiert, weil einige wenige möglicherweise ein solches Verhalten an den Tag legen könnten.

5. Das Ausschließen eines solchen Verhaltens darf nicht durch eine solche gesetzliche Diskriminierung erfolgen, sondern, wie das BVerfG feststellt, durch "die Beurteilung der Eignung eines jeden Bewerbers, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers verlangt."
Die Eignungsprüfung vor der Einstellung und die Disziplinarvorschriften während des Dienstverhältnisses sind nach unserer Auffassung ausreichende Instrumentarien, um jeden Missbrauch des Kopftuches und jede Dienstverletzung auszuschließen. Die über dreißigjährige Erfahrung in Nordrhein-Westfalen mit koptuchtragenden Lehrerinnen zeigt, dass dies ohne weiteres möglich ist.

6. Jeder Versuch das Kopftuch pauschal als ein politisches Symbol darzustellen, verkennt die Tatsache, dass die allermeisten muslimischen Frauen in Deutschland das Tragen des Kopftuchs als eine rein religiöse Ausübung ihres Glaubens verstehen. Muslimische Frauen in Deutschland sind mündig genug, sich von politischen Agitatoren nicht missbrauchen zu lassen. Von den meisten kopftuchtragenden Frauen in Deutschland wird das Kopftuch nicht als Demonstrations- oder gar Provokationsmittel benutzt. Wenn es auch Fälle im Ausland gibt, wo das Kopftuch als politisches Symbol oder zu Demonstrationszwecken eingesetzt wird, so ist das kein Grund, den kopftuchtragenden Musliminnen in Deutschland die gleiche Absicht zu unterstellen. Genau so falsch ist es, das Kopftuch als Symbol der Unterwürfigkeit gegenüber dem Ehemann zu bewerten oder Lehrerinnen mit Kopftuch ein fehlendes Bewusstsein für Gleichbehandlung von Mann und Frau vorzuwerfen. Gerade bei diesen Frauen handelt es sich um selbstbewusste emanzipierte Frauen, die ein offenes Verhältnis zu ihrer Gesellschaft haben.

7. Ein pauschales Verbot des Kopftuchs in den Schulen führt unmittelbar zu weitreichenden Diskriminierungen von Musliminnen in anderen Teilen der Arbeitswelt und des öffentlichen Lebens. Dies drängt sie in die Isolation und in die Abhängigkeit von Ehemann und Familie. Integration wird damit verhindert.

8. Der Hinweis auf den Bildungsauftrag der Schule laut § 2 NSchG und die Erziehung auf der Grundlage des Christentums, des Humanismus usw. und der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, dass bei einer gesetzlichen Lösung „Schultraditionen“ berücksichtigt werden können, darf nicht als Freibrief für eine Diskriminierung der Muslime oder anderer Gläubigen missbraucht werden. Schließlich macht das BVerfG zur Bedingung, dass "eine Dienstpflicht nur begründet und durchgesetzt werden kann, wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden."

9. Die Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule - ausgehend von dem mit zunehmender religiöser Pluralität verbundenen gesellschaftlichen Wandel, wie das vom BVerfG nahe legt - kann nur im Zusammenhang mit der Aussage des BVerfG verstanden werden: " Die Schule ist der Ort, an dem unterschiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinander treffen und wo sich dieses Nebeneinander in besonders empfindlicher Weise auswirkt. Ein tolerantes Miteinander mit Andersgesinnten könnte hier am nachhaltigsten durch Erziehung geübt werden. Dies müsste nicht die Verleugnung der eigenen Überzeugung bedeuten, sondern böte die Chance zur Erkenntnis und Festigung des eigenen Standpunkts und zu einer gegenseitigen Toleranz, die sich nicht als nivellierender Ausgleich versteht (vgl. BVerfGE 41, 29 <64>). Es ließen sich deshalb Gründe dafür anführen, die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu leisten." Diese Neubestimmung sollte also durch Berücksichtigung der zunehmenden Pluralität der Ausübung gegenseitiger Toleranz und dem Miteinander Andersgesinnter dienen, und nicht Erscheinungen eines jeden Andersseins Niederwalzen.

10. Die negative Religionsfreiheit bedeutet nicht, dass irgendein Mitglied der Gesellschaft Anspruch darauf hat, vom Anblick anderer religiösen Bekundungen "verschont" zu bleiben. Das Neutralitätsgebot der Schulen bedeutet nicht, dass sie zu religionsfreien Räumen werden, in denen die Kinder "steril" erzogen werden. Zu einer realitätsgerechten Erziehung in den Schulen gehört, dass sie sich mit der gelebten Vielfalt der Religionen außerhalb der Schulen auseinandersetzen. Eine solche Vielfalt erleben die Kinder - auch in den Schulen, in denen es Lehrerinnen mit Kopftuch arbeiten - als Teil der Normalität.

11. Eine zwangsläufige negative Beeinflussung der Kinder durch kopftuchtragender Lehrerinnen findet laut der in Karlsruhe vorgelegten Gutachten nicht statt. Dies bestätigt die Erfahrung in Nordrhein-Westfalen. Aus christlichen Kindern wurden keine Muslime; aus muslimischen Kindern keine Fundamentalisten; aus Mädchen ohne Kopftuch keine kopftuchtragenden Schülerinnen.

III.

In unseren Bedenken wegen eines mächtigen Staates, der sich das Definitions- und Wertungsrecht über "politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche Bekundungen" vorbehält und diese oder jene Haltung pauschal als neutralitäts- oder schulfriedensgefährdend verbietet, fühlen wir uns auch mit Nichtmuslimen in unserer Gesellschaft verbunden.
Dieses Gesetz wird mit Sicherheit in Karlsruhe landen - sollte es verabschiedet werden - vielleicht mit dem Ergebnis eines allgemeinen Verbots aller religiösen Symbole in den Schulen. Unsere Schulen würden um das horizonterweiternde Zeichen religiöser Pluralität ärmer werden. Dies sollten wir unseren Kindern und unserem Land nicht zumuten. Auch aus diesem Grunde lehnen wir den kopftuchverbietenden Gesetzentwurf der CDU- und der FDP-Fraktion ab und halten den Änderungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in seinen Hauptzügen für geeignet, den Schulfrieden in Vielfalt und Toleranz zu festigen.


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